Herr
Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren,
mein
Name ist Anne Lüters, ich bin Pfarrerin der Evangelisch
Lutherischen Kirche in Bayern, seit 2005 war ich Gemeindepfarrerin in
der Kirchengemeinde Freising und bin jetzt seit 2007 als evangelische
Leiterin der Hochschulgemeinde tätig. Eigentlich sollte hier
auch Pfarrerin Dorothee Löser stehen. Da sie aber kurzfristig
krank geworden ist, werde ich versuchen, auch die Betroffenheit der
Kirchengemeinde aus meiner Sicht zu schildern.
Seit
meinem Dienstantritt in dieser Stadt habe ich die wachsende Besorgnis
wegen des geplanten Flughafenbaus und dessen Folgen miterlebt –
in der Kommune, unter unseren über 7000 Gemeindegliedern und
auch bei Lehrenden und Angestellten auf dem Campus Weihenstephan,
diesem wichtigen und aufstrebenden Standort der TU München und
der Fachhochschule mit weit über 6.000 Studierenden, und ich
teile diese Besorgnis. Ich sehe es zudem als meine Aufgabe als
Pfarrerin und Seelsorgerin, die Ängste der Menschen in Freising
ernst zu nehmen und sie – vor meiner Kirchenleitung und hier
vor Ihnen - auszudrücken.
Als
Hochschulpfarrerin liegt mir das Wohl der Studierenden, Lehrenden und
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Campus Weihenstephan am
Herzen, sowie natürlich auch die Qualität dieses
Hochschulstandorts. Schon in einem Gespräch zwischen der
Hochschulgemeinde und dem damaligen Staatsminister Sinner habe ich
meine Verwunderung darüber geäußert, dass der Staat
Millionen des Steuergeldes in die Hochschulen am Standort
Weihenstephan investiert, und gleichzeitig den Bau einer dritten
Startbahn unterstützt, der sowohl die Lebensqualität für
Lehrende und Lernende in Freising-Vötting durch Lärm und
Emissionen spürbar verschlechtert, als auch Forschung und Lehre
an den beiden Hochschulen beeinträchtigt.
Schon
jetzt ist Weihenstephan von den Flugbewegungen durch
einfliegende/startende Flugzeuge betroffen. Die Flugzeuge starten und
landen im Abstand von 3,5 km, die Geräusche sind deutlich zu
hören. Durch den Bau einer dritten Start- und Landebahn kommt
zusätzlicher Flugverkehr auf Weihenstephan zu und rückt ca.
einen Kilometer näher. Zudem würde Weihenstephan beim
Abschwenken der Flugzeuge nach Norden direkt überflogen.
Abgesehen davon, dass durch die erhöhte Lärmbelastung die
in der Wissenschaft so nötige Konzentration beeinträchtigt
wird, so sind gerade jene Wissenschaften, die auf Lehrveranstaltungen
in freier Natur und auf Feilandversuche angewiesen sind, besonders
betroffen. So höre ich davon, dass bei den Exkursionen der
Forstwirtschaftler in den Kranzberger Forst heute schon bei Überflug
ein regulärer Lehrbetrieb nicht mehr möglich ist –
wie viel häufiger wird dies geschehen, wenn die Anzahl der
Starts und Landungen nochmals deutlich erhöht werden und der
Kranzberger Forst stärker als bisher betroffen ist? Wie
attraktiv macht dies den Standort Weihenstephan?
Mindestens
ebenso betroffen sind die Versuchsgüter und Freilandversuche von
FH und TU. Wie kann hier glaubwürdig biologischer Anbau
betrieben werden und wie können hier zuverlässige
Ergebnisse erzielt werden, wenn das Wachstum von Versuchspflanzen
durch Stickstoff und Kohlenmonoxide belastet und Ergebnisse
verfälscht werden?
Als
ebenso brisant erlebe ich die Sorgen vor dem gesteigerten Lärm
und den Emissionen, die der Flughafenausbau mit sich bringen würde
in der evangelischen Kirchengemeinde. Wir Seelsorger und
Seelsorgerinnen teilen die Bedenken, die die zusätzlichen
Belastungen für Kommune und Einzelpersonen betreffen, sei das
nun bezüglich der überlasteten Infrastruktur oder den
gestiegenen Lebenshaltungskosten. Herr Dekan Hauer hat dies vor vier
Wochen deutlich dargelegt. So werde ich diese Bedenken nicht
wiederholen, sondern Beispiele nennen, wie die Arbeit der
evangelischen Kirchengemeinde und von uns Pfarrern beeinträchtigt
wird.
Seit
dem Jahr 2005 ist die Kirchengemeinde Trägerin einer
viergruppigen Kindertagesstätte für Kinder von 0-6 Jahren
in der Katharina-Maier-Straße im Lerchenfeld, mitten in dem
jetzt schon vom Fluglärm am meisten betroffenen Gebiet
Freisings. Die bereits spürbare Belastung von Erzieherinnen und
Kindern durch startende und landende Maschinen, würde durch den
Ausbau des Flughafens noch potenziert. Bei 120 Starts und Landungen
Flügen pro Stunde, die noch dichter an unsere Kindertagesstätte
heranreichen würden, wären die Kleinsten den ganzen Tag
über einem Dauerschallpegel ausgesetzt, dem sie nicht entkommen
könnten. Das gilt schon für das Spiel innerhalb der
geschlossenen Räume, wie viel mehr für das freie Spiel im
Garten. Besonders gerne von den Kindern genutzt wird die in
vielfältige Spiel- und Erlebniszonen gegliederte
Freispielfläche. 2007 sind wir dafür mit einem Sonderpreis
für Freiflächengestaltung ausgezeichnet worden. Ich frage
Sie: Was bringt eine prämierte Freifläche, wenn man Kinder
aufgrund der hohen Lärmbelastung und der Emissionen, nicht mehr
mit gutem Gewissen darauf spielen lassen kann? Ich nehme die Sorgen
der Eltern sehr ernst, dass hier leichtfertig mit der Gesundheit
ihrer Kinder umgegangen wird.
Die
Studien, die die Auswirkungen des Fluglärms auf die
Konzentrationsfähigkeit und die Entwicklung von Kindern
untersucht haben, sind hinreichend bekannt und wurden von beiden
Seiten bereits ausführlich diskutiert. Ich möchte lediglich
auf die in meinen Augen sehr fragwürdige „Widerlegung“
dieser Studie in der Argumentesammlung der Flughafengesellschaft
eingehen.
Gegen
die These, der Fluglärm schade der Entwicklung der Kinder führt
die Sammlung in Variationen folgende Argumente an (nachzulesen auf
Seite 67ff):
Kinder
bräuchten angeblich weder zu Hause, noch in Schulen oder
Kindergärten höheren Schutz, weil die Lärmbelästigung
durch Geräusche innerhalb der Räume selbst viel größer
sei, weil die Sprachentwicklung den Geräuschpegel zu Hause -
beispielsweise durch einen permanent laufenden Fernseher -
nachhaltiger beeinflusst werde und die Entwicklung der Kinder viel
mehr durch ihre Familienstrukturen beeinflusst würden als durch
den Fluglärm. Ich zitiere: „Es ist also nicht die
Fluglärmbelästigung an der Schule, welche das
Leseverständnis negativ beeinflusst, sondern das familiäre
Klima der Anregung zu Hause, welches das Leseverständnis mehr
oder weniger fördert.
Ich
sehe hier kein einziges substantielles Argument. Hier werden Äpfel
mit Birnen verglichen werden: In einer Studie über die
Auswirkungen des Fluglärms auf Schul- und Kindergartenkinder
steht eben nicht der individuelle Hintergrund, sondern die allgemeine
Lärmbelastung zur Debatte. Darüber hinaus erscheint es mir
zynisch, besorgte Eltern darauf hinzuweisen, sie sollten doch erst
einmal vor ihrer eigenen Haustüre kehren und ihre Erziehung zu
reflektieren, als den Flughafen für nachweisliche
Konzentrationsstörungen ihrer Kinder verantwortlich zu machen.
Im
Interesse der Kinder, die in unserer KiTa betreut werden und im
Interesse der Eltern, die eine Antwort auf Ihre Fragen suchen,
beantrage ich eine erneute, neutrale Prüfung der Auswirkungen
des Fluglärms auf die Konzentrationsfähigkeit und
Entwicklung von Kindern.
Es
wären hier noch weitere Beeinträchtigungen durch den
zunehmenden Lärm zu nennen: Ein Beispiel: Es ist jetzt schon
unmöglich ist, eine Beerdigung auf dem Pullinger Friedhof
weiterzuführen, wenn er von einem Flugzeug überflogen wird.
Dies könnte bald auch in Langenbach und Vötting so sein
könnte.
Als
Seelsorgerin liegen mir die Sorgen derer am Herzen, die durch die
Ausbaupläne am stärksten betroffen sind und denen ein
Verlust ihrer Lebensqualität oder ihrer Elternhäuser droht.
Sie haben in den letzten Monaten viele solcher Geschichten gehört.
Mir ist positiv aufgefallen, dass diese Geschichten mit Respekt und
Verständnis aufgenommen worden sind. Aber ich habe auch bemerkt,
wie der Verlust von Heimat schon fast als notwendiges Übel
angesehen wurde. So wie, entschuldigen Sie dieses harte Wort –
Kollateralschäden, die bei einem solchen Projekt einfach in Kauf
genommen werden müssen. Trotzdem oder gerade deswegen muss hier
ehrlich und intensiv die ethische Frage gestellt und beantwortet
werden, welchem „höheren Gut“ Grund und Boden, die
Heimat, der Besitz und die Gesundheit der Menschen in unmittelbarer
Flughafennähe geopfert werden. Denn ein „höheres Gut“
muss ja vorhanden sein, wenn das Eigentum und die Lebensqualität
Einzelner so beschnitten werden sollenb.
Was
kann das höhere Gut sein?
Das
grenzenlose Wachstum eines Unternehmens, das immer mehr Lebensraum,
immer mehr Geld und immer mehr Ressourcen verbraucht?
Der
Freistaat Bayern, der sich damit auszeichnen kann, mit diesem
Flughafen in Deutschland Spitzenstellung einzunehmen?
Oder
der Luxus der Vielen, die auf Kosten des Klimas, der Ressourcen und
damit auch der kommenden Generationen immer noch billiger immer noch
öfter und immer noch weiter fliegen können? Und deren
Bedürfnisse nach dem Bau einer dritten Startbahn immer noch
weiter künstlich und durch Anreize geweckt werden müssten,
um den Bedarf nachzuweisen?
Deshalb
stelle ich den Antrag, dass die ethischen Argumente insbesondere der
Nachhaltigkeit, der Schutz des Individuums und die Verantwortung für
die nachkommenden Generationen, stärker in die Entscheidung
einbezogen werden und dass eine verantwortete Abwägung der Güter
erfolgt.
Nachdem
heute einer der letzten Anhörungstage ist, möchte ich Sie
als Vertreter der Regierung von Oberbayern und als die neutrale
Instanz, die in diesem Fall zu urteilen hat, dringend darum bitten,
sich diesen neutralen Blick zu bewahren und sich nicht von dem
strukturellen Ungleichgewicht blenden zu lassen, das allein schon in
diesem Saal und in der Anordnung der Parteien deutlich wird. Bei
aller finanzieller Übermacht, bei allem Übergewicht an
zeitlichen Ressourcen und rechtlichen Finessen, bleibt die
Argumentation der Flughafengesellschaft doch interessengeleitet und
ist keineswegs neutral, wie ich hoffe an dem Beispiel der
Auswirkungen des Fluglärms auf Kinder dargestellt zu haben.
Ich
erhoffe mir von Ihnen, der neutralen Instanz, dass sie sich die
Sorgen und Fragen der Bürger, deren Recht und Unversehrtheit zu
schützen ja ihre Aufgabe ist – unvoreingenommen überprüfen
und noch einmal Experten – neutrale Gutachter - beauftragen,
diesen Fragen nachzugehen.
Deshalb
beantrage ich, dass durch unabhängige, neue Gutachten der Bedarf
und das Ausmaß des Schadens auf die Bevölkerung, auf das
Klima und die nachkommenden Generationen erhoben werden. Dabei wird
darauf einzugehen sein, warum einerseits in einer noch vor 2 Jahren
nicht absehbaren wirtschaftlichen Krise an den Prognosen eines
fortgesetzten Wachstums unverändert festgehalten werden kann,
ohne dass zumindest eingestanden wird, dass die Entwicklung der
Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf das Konsum- und Flugverhalten
der Bevölkerung nicht absehbar ist und gleichzeitig Aussagen
über eine seit Jahrzehnten vorausgesehene und sich rasant
nähernde Rohölknappheit nicht getroffen werden mit der
Begründung, solche langfristigen Prognosen könne man nicht
treffen.
Ich
beantrage deshalb, in einem Gutachten auch die Folgen der
Ressourcenknappheit einzubeziehen und die Frage, wie weitsichtig und
verantwortungsvoll mit den verbleibenden Rohölbeständen
umgegangen werden kann und die Entscheidung über einen Ausbau
des Flughafens so lange zurückzustellen bis die wirklichen
Auswirkungen der Wirtschaftskrise absehbar sind.
Ich
danke für Ihre Aufmerksamkeit.