Votum beim
Anhörungsverfahren zum geplanten Bau der 3.Startbahn am
Flughafen München
Unterschleißheim
17.2.09
Sehr geehrte Damen und
Herren,
Der
Evangelisch-Lutherischen Dekanatsbezirk Freising umfasst die
Landkreise Freising und Erding, den nördlichen Landkreis
Ebersberg und je einen kleinen Bereich der Landkreise Pfaffenhofen
und Landshut.
Im
Evangelisch-Lutherischen Dekanatsbezirk Freising leben rund 38.000
evangelische Christinnen und Christen.
Nach evangelischem
Verständnis leben wir als Kirche in der Welt. Wir haben
Verantwortung für
Mensch und Natur in der Region.
Auch als Trägerin
öffentlicher Belange hat Kirche das Recht und die Pflicht zur
Mitsprache bei Planungen und Entscheidungen, die das öffentliche
Leben und die Natur betreffen.
Aus diesem Grund haben
sich die Gremien des Dekanatsbezirks, die Dekanatssynode und der
Dekanatsausschuss, und die Leitungsgremien der neun Kirchengemeinde
auch mit dem geplanten Bau der 3.Startbahn beschäftigt, ja
beschäftigen müssen.
Denn unsere
Gemeindemitglieder wie unsere Einrichtungen sind mit dem Flughafen
und seiner Entwicklung verbunden.
Gemeindemitglieder,
die den Flughafen und seine Einrichtungen nützen.
Gemeindemitglieder, die
am Flughafen oder im Umfeld des Flughafens arbeiten.
Gemeindemitglieder, die
von den unüberhörbaren und unübersehbaren Auswirkungen
des Flughafens betroffen sind.
Menschen, beileibe
nicht nur Gemeindemitglieder, die in verstärktem Maß die
Beratung unseres Diakonischen Werkes in Anspruch nehmen, weil der
Verdienst am Flughafen, vor allen in den outgesourcten Bereichen,
hinten und vorne nicht reicht, um die Lebenshaltungskosten in dieser
Region bestreiten zu können.
Menschen, auch hier
keineswegs nur Gemeindemitglieder, die uns Anteil geben an ihren
Sorgen um die Bewahrung ihres Wohn- und Lebensraumes.
Die sich um die
Erhaltung ihrer Heimat und deren Lebensqualität sorgen.
Menschen, denen es im
Blick auf die Schöpfung und ihre Bewahrung Angst und Bange ist.
Menschen, die davon
wissen, welche Auswirkungen der Fluglärm und in dessen Gefolge
auch der Straßenlärm auf die Gesundheit haben können.
Als Kirche in der
Flughafenregion nehmen wir unsere Verantwortung wahr.
Sowohl für die
Menschen am Flughafen als auch für die Menschen in der Region um
den Flughafen.
Darum haben sich die
Gremien des Dekanatsbezirks, die Dekanatssynode und der
Dekanatsausschuss, und die Leitungsgremien der neun Kirchengemeinde
auch mit dem geplanten Bau der 3.Startbahn beschäftigen müssen.
Es war dabei sehr
hilfreich für uns, dass zu unserem Dekanat auch die
Kirchengemeinde Markt Schwaben und Poing gehört. Die
Vertreterinnen und Vertreter dieser Kirchengemeinde können sich
noch sehr gut an den Flughafen in München Riem erinnern und von
ihren Erfahrungen berichten. Sie verstehen die Sorgen, die sich mit
der 3.Startbahn verbinden, nur zu gut. Aus eigener Erfahrung.
Nach einem gründlichen
und intensiven Meinungsbildungsprozess in den verantwortlichen
Gremien haben wir mit großer Mehrheit entschieden, uns
öffentlich gegen den geplanten Bau der 3.Startbahn zu
engagieren.
Um Ihnen unsere
Gedanken und Anträge vorzutragen, stehe ich heute hier vor
Ihnen.
Ich weiß, dass
Sie für vieles von dem, was ich jetzt sage, gar nicht die
richtigen Ansprechpartner sind.
Denn Sie tun nichts
anderes als das, was von Ihnen erwartet wird.
Sie tun Ihren Job und
der heißt schlicht und einfach, den Beschluss der
Gesellschafter zu verteidigen, damit er nach Abschluss des Verfahrens
dann umgesetzt werden kann.
Eigentlich müssten
hier die Vertreter der Gesellschafter sitzen und sich mit den
Einwenden und Sorgen der Menschen in der Region um den Flughafen
auseinandersetzen.
Sie müssten sich
den Fragen stellen.
Sie müssten sich
vor allem auch danach fragen lassen, welche Werte sie bei ihrer
Entscheidung, eine dritte Startbahn zu bauen, leiten.
Denn auch die Frage
nach den Werten gehört unserer Meinung nach in einen
Anhörungsprozess wie diesen. Denn wo sonst, wenn nicht hier,
könnte sie in diesem Verfahren denn überhaupt gestellt
werden.
Die Gesellschafter
müssen sich fragen lassen, welche Werte sie bei den Vorgaben
leiten, die sie Ihnen, den Mitarbeitenden machen und die Sie dann
umzusetzen haben.
Was ja –
zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – nicht die reine Freude sein
kann.
Einfügung vor
Ort – sinngemäß – „darum stehe ich jetzt
auch ganz bewusst hier an diesem Pult. Weil ich eine Reihe von
Anträgen an die Regierung von Oberbayern als die neutrale
Instanz richte, die nach diesem Verfahren abzuwägen und zu
entscheiden hat. Und weil Sie, Herr Büchner, der Anwalt des
Verfahrens in diesem Sinne sind.“
Wir beantragen,
dass genau diese Wertediskussion, die bisher als nicht
verfahrensrelevant bezeichnet wurde, in das Verfahren mit einbezogen
wird.
Denn aus unserer Sicht
ist es ethisch unverantwortlich, sich in diesem Verfahren
ausschließlich mit dem „wie“ der 3.Startbahn zu
befassen,
aber die Frage nach dem
„ob“ der Verantwortbarkeit der 3.Startbahn als nicht
verfahrensrelevant außen vor zu lassen.
Anschließende
Replik des Sitzungsleiters der Regierung v.Oberbayern:
Er verwahre
sich gegen diesen Vorwurf. Dass „ob“ der 3.Startbahn
stehe durchaus im Blickpunkt des Erörterungsverfahrens.
Es muss nach den Werten
gefragt werden, die ein solches Projekt motivieren und es müssen
die verschiedenen Werte, die dabei leiten, ethisch gewürdigt und
verantwortlich gewertet werden.
Die
Helmholtz-Gemeinschaft der deutschen Forschungsverbünde (HGF)
Kriterien für die ethische Bewertung von Großprojekten
erarbeitet, die vor allem auch die substantielle Nachhaltigkeit
berücksichtigen.
Wir beantragen
deshalb, dass diese Kriterien der Helmholz-Gemeinschaft der deutschen
Forschungsverbünde bei der abschließenden Bewertung des
geplanten Baus der 3.Startbahn angewandt werden.
Um auch das deutlich zu
machen, meine Damen und Herren.
Wir akzeptieren den
Flughafen als Tatsache. So, wie er jetzt da ist. Mit seinen 2 Bahn
und den beiden Terminals. Wir sind der Meinung, dass er noch genügend
Entwicklungskapazität hat.
Wir sehen seine
Bedeutung für den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft des Umlandes.
In den jetzigen
Dimensionen.
Unser diakonischer
Auftrag verpflichtet uns, dort aktiv zu werden, wo Menschen unsere
Hilfe brauchen.
Deshalb sind wir als
evangelische Kirche auch selber am Flughafen tätig.
Als kirchlicher Dienst
am Flughafen sind wir zusammen mit der röm.-kath. Kirche
Ansprechpartner für Beschäftige, Flüchtlinge,
Abgeschobene und Reisende.
In Schadensfällen
arbeiten wir über die Notfallseelsorge gut und unproblematisch
mit dem Flughafen zusammen.
Aber wir sind auch den
Menschen in der Region um den Flughafen verpflichtet. In unseren
Kirchengemeinden werden wir tagtäglich mit den Sorgen und Nöten
konfrontiert, die der Flughafen mit sich bringt.
Die Bewahrung des
Lebens und der Schöpfung ist eine wichtige Aufgabe christlichen
Lebens. Die Kirche muss sich für das Leben in einer lebenswerten
Umwelt einsetzen.
Und das nicht nur für
die jetzige, sondern auch für die kommender Generationen.
Wir beantragen
deshalb eine ethische Kosten-Nutzen-Rechnung.
Wir beantragen
zu prüfen, ob der Preis der von den kommenden Generationen mit
den Folgen einer 3.Startbahn abverlangt wird, nicht größer
ist als der Gewinn, den sich die Betreibergesellschaft von dem Bau
dieser Bahn verspricht.
Die globalen
ökologischen Konsequenzen des Flughafenbetriebes, insbesondere
auch die Auswirkungen des Flugbetriebes auf das Klima, müssen
unserer Meinung nach viel stärker in den Blick genommen werden
als bisher.
Auch wenn Sie den
Faktor 3 für die Klimawirkung des Flugverkehrs aufgrund der
Emissionen von Schadstoffen in den oberen Luftschichten als
wissenschaftlich nicht belegt bezeichnen,
so geben Sie doch
selber zu, dass die Auswirkungen der Emissionen des Luftverkehrs im
Reiseflug größer sind als vergleichbare Emissionen am
Boden.
Auch an dieser Stelle,
sehr geehrte Damen und Herren, stellt sich erneut die Frage nach den
Werten, die das Projekt 3.Startbahn leiten.
Wir beantragen
deshalb auch in dieser Frage eine Überprüfung mit den
Kriterien der Nachhaltigkeit.
Natürlich kann man
behaupten, dass die Frage nach der Klimawirkung der
Flugverkehrsemissionen, weil allgemein, nicht Gegenstand des
Planfeststellungsverfahrens ist.
Aber genau diese Frage
ist zu stellen. Weil sie die Allgemeinheit betreffen. Mensch und
Natur. Heute und in Zukunft.
Darum beantragen
wir, dass im Rahmen des Genehmigungsverfahrens die Prüfung der
Auswirkungen des Flugverkehrs auf das Klima ausdrücklich mit
einbezogen wird.
Bei weiterem Wachstum
des Flughafens kann der Bedarf an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
immer weniger aus der Region gedeckt werden.
Die Integration
Menschen verschiedener Herkunft, unterschiedlicher Ausbildung und
anderer Weltanschauung wird eine Frage der Lebenskultur in unserer
Region sein. Der enorme Zuzug und die starke Fluktuation werden
anhalten und eine extreme Belastung für politische wie
kirchliche Gemeinden darstellen, denn sie müssen die nötige
Infrastruktur zur Verfügung stellen.
Fragestellungen dieser
Art sind bei den Gesellschaftern nicht im Blick.
Denn das lässt
sich nicht mit Umsatzzahlen und Wachstumsprognosen ausdrücken
und verkaufen.
Das Bewusstsein für
diese Probleme wird vielmehr den Umlandgemeinden und ihren
Einrichtungen zugemutet.
Wir beantragen,
dass diese Faktoren, die bisher nicht ausreichend berücksichtigt
oder als nicht verfahrensrelevant bezeichnet wurden, in die
abschließende Bewertung des Projekt mit einfließen.
Wir beantragen
weiter, dass die Genehmigung von Planungen erst dann erfolgt, wenn
die daraus folgenden Folgelasten wie Infrastruktur, Schulen,
Kindergärten, Straßen sozialer Wohnungsbau etc
berücksichtigt worden und die Finanzen gesichert sind.
Wir wenden uns gegen
alle Tendenzen, wirtschaftliche Interessen über menschliche
Bedürfnisse zu stellen.
Wir beantragen,
dass diese Kosten für die weitere Entwicklung der Infrastruktur
im Umland in die Kostenkalkulation für die 3.Startbahn mit
einbezogen werden und dort auch tatsächlich ausgewiesen werden.
Wir halten es für
bedenklich, in welchem Maß sich die Lebenshaltungskosten in der
Region entwickelt haben und weisen voller Sorge auf die steigende
Verschuldung in unserer Region hin.
Die
Lebenshaltungskosten werden weiter steigen, die Lebensqualität
aber wird sinken.
Wir haben große
Sorge, dass die Natur und der Erholungswert im Erdinger und
Freisinger Moos noch weiter zurückgedrängt wird.
Die dritte Startbahn
wird noch mehr Verkehr auf die Straße bringen.
Es werden noch breitere
Straßen gebaut werden müssen, weil nötig, um das
steigende Verkehrsaufkommen zu bändigen,
und damit wird, noch
mehr als bisher schon geschehen, unverbaute Landschaft mit Teer und
Beton versiegelt.
In Anbetracht der immer
knapper werden Ressource Boden und der davon abhängigen
Ressource Wasser beantragen wir auch hier eine Überprüfung
des geplanten Bau der 3.Startbahn nach den Kriterien der
Nachhaltigkeit.
Die Belastung von
Mensch und Natur durch Emissionen ist schon jetzt sehr groß.
Wachstum um jeden Preis bedeutet ein noch größeres Maß
an Emissionen, verbunden mit noch stärkeren gesundheitlichen
Belastungen und verminderter Lebensqualität der Anwohner.
Sehr geehrte Damen und
Herren,
Zahlen, Erfahrungswerte
sind wichtig bei einer Planung. Unbestritten.
Weil sie eine
Entwicklung zeigen können.
Aber man kann die
Zukunft nicht mit der Vergangenheit gestalten.
Auch nicht die Zukunft
des Flughafens.
Es sei denn, man hat
nur eine Zeitspanne von einigen Jahren im Blick. Weil man nicht
weiter denken kann oder will.
Oder zumindest in der
Öffentlichkeit keine Aussagen dazu machen will.
Aber so zu tun, als ob
die zurückliegende Entwicklung einfach unbegrenzt und
vollständig in die Zukunft verlängert werden kann und das,
was derzeit geschieht, nur eine Delle in der aufsteigenden
Entwicklungslinie ist, birgt die Gefahr in sich, dass durch den Bau
der 3.Startbahn Fakten geschaffen werden, die nicht mehr zu
revidieren sind.
Dies ist insbesondere
im Blick auf die gesicherte Verfügbarkeit von Kerosin einerseits
und die Prognosen der Flughafenbetreibergesellschaft andererseits
relevant.
Nach den vorliegenden
Prognosen, so sagen Sie, stehen auch im Jahr 2020 für den
Luftverkehr Mineralölprodukte in ausreichendem Maße zur
Verfügung.
Und dann?
Wie verhält es
sich damit, dass die Lufthansa eine Versorgungssicherheit mit Kerosin
hinsichtlich Preis, Lieferbarkeit und Qualität lediglich bis
etwa 2030 bzw. die von Ihnen angeführte Quelle ExxonMobil bis
2050 konstatieren möchte?
Ob bis dahin
alternative Kraftstoffe oder Antriebssysteme in wirtschaftlicher
Weise zur Verfügung stehen, ist offen.
Wir fragen deshalb: ist
es wirklich zu verantworten, auf dieser Basis ein solches Projekt wie
die 3.Startbahn unbedingt realisieren zu wollen?
Wir beantragen
daher, dass diese Versorgungssituation ausdrücklich geprüft
und gewürdigt wird. Und zwar über den Zeitraum hinaus, der
momentan für eine Genehmigung notwendig ist.
Denn ausgehend von den
erheblichen Investitionskosten für den Bau der 3.Startbahn
stellt sich die Frage, was in diesem Szenario einer ungesicherten
Versorgungssituation aus der 3.Bahn wird?
Man kann sie ja nicht
einfach zusammenrollen und in die Ecke stellen.
Ist es überhaupt
im Blick, sehr geehrte Damen und Herren,
ja darf es überhaupt
im Blick sein, dass die Entwicklungslinie des Flugaufkommens
mittelfristig nicht linear ansteigt, wie behauptet wird,
schlimmstenfalls wird dann von einer Delle gesprochen, sondern das
die Linie zu einer Kurve wird, die nach unten zeigt, zum Sinkflug
wird?
Wir beantragen,
dass dieser gegenwärtigen Entwicklung in der Bewertung des
Projekts ebensoviel Rechnung getragen wird wie den Entwicklungen der
Vergangenheit.
Wir beantragen
daher, eine neue Bedarfsanalyse zu erstellen.
Und wir beantragen
eine sachliche und ethisch verantwortbare Kosten-Nutzen-Rechnung,
die einen gerechten Interessenausgleich zwischen der Schaffung von
Arbeitsplätzen, der Gewinnsteigerung für die
Betreibergesellschaft und den Bedürfnissen von Anwohnern und
Region zum Ziel hat.
Sehr geehrte Damen und
Herren,
die Verantwortung für
uns und unser Leben, unsere Gesundheit und die Schöpfung, aber
auch für das Leben, die Schöpfung und die Gesundheit derer,
die nach uns hier in der Region um den Flughafen leben werden, nimmt
uns niemand ab.
Nicht die „Flughafen
München Gesellschaft“, nicht die Politiker, die alle nicht
in der Region um den Flughafen wohnen, aber in der
Betreibergesellschaft den Ausbau des Flughafens forcieren.
Wirtschaftliches
Wachstum kann nicht einziges Kriterium für die
Entwicklungsplanung einer Region sein. Wirtschaftliche Entwicklung
hat auch dem Wohl der Menschen und der Bewahrung der Schöpfung
zu dienen.
Darum stellen wir einem
rein betriebswirtschaftlichen Denken ökologische und regionale
Wachstumsgrenzen entgegen.
In einer begrenzten
Welt kann es kein unbegrenztes Wachstum geben.
Darum sind bei einem
Großprojekt wie diesem auch die leitenden Werte in den Blick zu
nehmen und zu bewerten.
Ein solches Projekt
muss auch mit ethischen Kriterien gewürdigt werden, was wir
heute und hiermit beantragt haben.
Mit dem Ziel eines
vernünftiges Miteinanders, das das Wohl aller Beteiligten und
Betroffenen im Blick hat.
Ich danke Ihnen für
Ihre Aufmerksamkeit.