Mut ist Angst, die gebetet hat
Ansprache von Hochschulpfarrerin Anne Lüters
zum Lichterzeichen-Schweigegang in Freising 1.Mai 2016


Ansprache Lichterzeichen in Freising 1.Mai 2016


Lob für das Ausharren im Regen

Gestern haben wir es erst wieder in einem Blockseminar mit Studierenden gesehen: eine alarmierende Grafik, so wie wir sie in der einen oder anderen Form alle kennen - eine Weltkarte, in der diejenigen Regionen eingezeichnet waren, die Probleme der Menschen in den kommenden Jahren so massiv ansteigen werden, dass ihnen wohl nichts anderes übrig bleiben wird, als ihr Land zu verlassen: Weil es von Überschwemmungen bedroht ist, oder weil das Wasser knapp wird und die Gefahr von Verteilungskämpfen wächst, und die Menschen nicht wissen, wie sie sich ernähren sollen. Von Asien über Nordafrika, Lateinamerika – ein roter alarmierender Streifen – Tausende Menschen, die sich – ohne dies zu wollen, auf den Weg machen werden, weil sie keine Zukunft mehr sehen. Der Norden – ob Nordamerika, oder Europa - war auf dieser Karte ganz weiß. Wir werden, obwohl wir ihn maßgeblich mit verursacht haben, nicht so unmittelbar vom Klimawandel betroffen sein.

Neu ist das nicht. Viele Klimaforscher weisen darauf hin, dass unsere so genannte Flüchtlingskrise nur ein kleiner Vorbote dessen ist, wie die weltweite Migration aufgrund des Klimawandels in wenigen Jahren aussehen könnte. Und Europa reagiert. Es schottet sich ab.

Liebe Mitstreitende, das könnte schon eine Situation zum Verzagen und zum Verzweifeln sein. Und wie gut wäre es, wenn die Bibel uns als Navi mitgegeben wäre, das uns aus solchen verfahrenen Situation hinausmanövriert. Aber – wie Dekan Hauer es beschrieben hat – die Bibel ist nur Kompass, nicht Navi…

Ein solches Kompasswort ist für mich ein Wort aus der Bibel, über das hier schon oft gesprochen wurde und das an Pfingsten wieder ganz aktuell wird.

Timotheusbrief: Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

Das ist ein Kompass: Es zeigt mir nicht, wie ein Fahrplan, was hintereinander geschehen muss, aber es gibt mir eine Richtung und eine Aufmerksamkeit.

Sich nicht von der Verzagtheit und von der Furcht leiten zu lassen, beispielsweise. Ich habe mich gefreut als unser Referent gestern gesagt hat: Ich glaube nicht, dass es so weit kommen muss. Es läge jetzt in unserer Hand, so zu leben, dass die Menschen in Zukunft in ihren Ländern wohnen bleiben könnten. Wir müssten nur jeder und jede unser Leben ändern – weniger Fleisch, weniger Autofahren, viel weniger Flugreisen – wir könnten es noch schaffen. Nicht: „Wir können ja eh nichts machen“, sondern ein „wir können jetzt beginnen“. Bei den Studierenden fällt das auf fruchtbaren Boden.

In so einem deutlichen Wissen dessen, was geschehen müsste, fällt es mir schwer zu verstehen, dass im elften Jahr nach dem Lichterzeichen immer noch weiter an den Plänen für eine dritte Startbahn festgehalten wird - und dass Teile der CSU-Landtagsfraktion den Flughafenausbau notfalls gegen den Bürgerentscheid den Bau durchsetzen wollen. Liegen die Argumente dagegen nicht auf der Hand? Muss nicht binnen weniger Jahre ein drastisches Umdenken im Umgang mit den Ressourcen geschehen? Ich bin froh, dass sich der Münchner OB Reiter hier an den Bürgerentscheid gebunden sieht und nur dann einem neuen Bürgerentscheid zustimmen möchte, wenn sich die Flugzahlen deutlich angestiegen sind.

Ich fand eine kleine Nebendiskussion zu dem Thema sehr interessant: Die Frage war: Handelt OB Reiter mutig – oder ängstlich? Ist es feige, sich an den Willen der Bürger zu halten oder nicht eher mutig, sich nicht den Forderungen der Lobbyisten zu unterwerfen. Was ist Mutig? Was ist ängstlich in dieser Situation? Wie handeln wir Mutig?

Angst und Mut sind keine Gegensätze. Angst führt oft zu mutigen Taten – das erlebe ich bei Ihnen. Sie stehen hier, weil sie die Sorge um ihre Heimat hierher geführt hat und weil sie den Geist der Verzagtheit nicht in sich Raum geben wollen. Das hat Sie zu mutigen Taten geführt – Anhörungen, Petitionen, Prozesse, Aufstehen trotz Niederschläge – das nenne ich Mut. Das heißt nicht, dass wer mutig handelt, nicht oft ein klopfendes Herz hat – das gehört zusammen. Mut und Angst tanzen Tango – mal führt das eine, mal das andere.

Wichtig ist, dass wir uns nicht von der Angst beherrschen lassen, dass wir nicht in einem „Geist der Verzagtheit“ leben – wie es uns das Bibelwort als Kompass mitgibt. Angst kann ein guter Indikator sein, aber darf nie Macht und überhand gewinnen.

Was ist ein Geist, der sich nicht der Verzagtheit unterwirft? Auch da weist der Biblische Kompass eine Richtung:

Es ist ein Geist der Kraft – Kraft zum Durchhalten und zum Dranbleiben – auch im 11. Jahr und wenn es sein muss auch noch im 12., 13. Und 14. Jahr.

Es ist ein Geist der Liebe: Wir müssen uns immer wieder Rechenschaft darüber geben, dass das, was wir tun nicht aus Wut oder aus Hass, sondern aus Liebe geschieht – zu unseren Kindern, zu unserer Natur und zu dem Leben, das auch noch in Nachfolgenden Generationen lebenswert sein soll.

Und es ist ein Geist der Besonnenheit, der nicht blind darauf losstürzt und auch nicht vorschnell zurückweicht, sondern der beständig fragt und aus guten Gründen handelt – und darüber auch Auskunft zu geben weiß.

Diesem Kompass lassen Sie uns folgen. Und sollte uns doch einmal die Verzagtheit oder die Verzweiflung überwältigen - vergessen wir nicht:
Mut ist Angst, die gebetet hat. Amen.

Lasst uns beten:

Gütiger Gott,

in unruhiger Zeit rufen wir zu Dir:

Oft sehen wir nicht, wie es weitergehen soll – darum bitten wir Dich um Weitsicht und Einsicht in das, was nötig ist.

Manchmal spüren wir, welcher Weg der richtige ist, aber wir fürchten uns vor dem nächsten Schritt – darum bitten wir dich um Mut und Beherztheit, um das zu tun, wozu uns unser Herz uns drängt.

Manchmal geht uns der Atem aus. Darum bitten wir Dich um Kraft und Durchhaltevermögen auf dem langen Weg.

Gott, wir wissen, es liegt nicht alles in unserer Hand.

Darum bitten wir Dich

um

Schutz für die Heimatlosen

Liebe für die Verbitterten

Mitgefühl für die Abgestumpften.

Weisheit für die Regierenden

Um Einheit in Europa

Und um Frieden –

In Syrien und Jemen und Eritrea, in Lybien und in so vielen Krisengebieten der Welt.

Um sozialen Frieden in unseren Gemeinden

Und um Frieden mit der Natur.

Gott hilf uns, dass wir sie achten und bewahren, dass sie nicht nur uns, sondern auch unsern Kindern und Enkel ein lebenswerter Wohnraum bleibt.

In der Stille bringen wir vor Dich, was uns bewegt.

Vater unser…