Wie lange noch!?
Besinnung gestaltet von Dr. Reinhold Reck
zum Lichterzeichen - Schweigegang am 02. Juli 2017


Beginnen wir im Namen Gottes, des Vaters und …

Als vor zwei Wochen von Politik und Medien wieder mal die Möglichkeiten durchgespielt wurden, wie man den Münchner Bürgerentscheid aushebeln könnte und endlich mit dem Bau der dritten Start- und Landebahn beginnen könnte, da hat sich in meinem Herzen der alte biblische Klageschrei gemeldet: „Wie lange noch?!“ Wie lange soll das noch gehen?

Nun ist die Klage ja nicht die Gebetsform, die wir als Kinder zuvörderst gelernt haben oder die im Gottesdienst der Kirche sehr viel vorkäme. Danken sollen wir für das Gute, das uns widerfährt. Bitten dürfen wir in Not und Bedrängnis. Aber klagen vor Gott – oder gar: Gott anklagen …? Das ist uns doch eher ungewohnt.

Anders in der Bibel. Da hat die Klage und sogar die Anklage Gottes durchaus ihren Platz. Ich nenne nur Hiob. Oder die Klagepsalmen: nicht wenige Psalmen sind ganz wesentlich durch die Klage bestimmt. Der vielleicht bekannteste dieser Klagepsalmen – weil Jesus ihn bei seinem Sterben am Kreuz gebetet hat – ist Psalm 22: „Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen.“ Das ist schon ein Vorwurf an Gott, der es in sich hat – von Jesus selbst in seiner Todesnot. Aber es gibt noch viele andere Klagerufe in den Psalmen – und einer, der immer wieder vorkommt, fast 20 Mal, ist eben diese klagende Frage, diese fragende Klage: „Wie lange noch? Wie lange noch, Gott?“ Am intensivsten im Psalm 13:

    „Wie lange noch, o HERR? Willst du mich für immer vergessen?
    Wie lange noch verbirgst du mir dein Antlitz?
    Wie lange noch muss ich Sorgen tragen in meiner Seele,
               Kummer in meinem Herzen alle Tage?
    Wie lange noch darf mein Feind über mich triumphieren?“

Diesen Klageschrei der Psalmen haben auch die frühen Christen aufgegriffen in ihrer Bedrängnis – sie haben ja ihre Bibel gekannt. Am Ende des ersten Jahrhunderts, in Kleinasien, der heutigen Türkei, stand der Kaiserkult in höchster Blüte; und wer sich ihm verweigerte, der war politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich marginalisiert, an den Rand gedrängt, in seiner ganzen Existenz gefährdet.
In dieser Situation wurde die Johannesoffenbarung geschrieben. Statt Offenbarung übersetzte ich lieber Enthüllung. Denn diese Schrift will den Schleier wegziehen, der uns den Blick auf die Wirklichkeit verwehrt. Sie enthüllt die menschenfeindliche, die widergöttliche, totalitäre Macht des politisch-militärisch-wirtschaftlichen Komplexes des damaligen römischen Kaiserreichs. Es ist eine faszinierende Schrift. Im Gottesdienst wird sie kaum vorgelesen. Sie ist sicher nicht leicht zu verstehen – und wird nicht selten auch fatal missverstanden, weil sie mit den Bildern und Codes der hebräischen Bibel arbeitet, eine Art Bild-Grammatik benutzt. Wenn man aber diese Codes entschlüsselt, dann hat man eine hochaktuelle Botschaft …

… aber worauf ich hinaus will: In der Johannesoffenbarung sind es die Seelen der Märtyrer, die diesen Klageschrei der Psalmbeter aufgreifen: „Wie lange noch?“ (6,10) -
Es ist die Stimme der Opfer, der Opfer eines brutalen Systems, das ihnen keine Chance lässt. Es ist der Schrei der Opfer nach Gerechtigkeit.

Doch jetzt von Kleinasien wieder zurück nach Freising – aus der Antike zurück in die Gegenwart: „Wie lange noch, Gott?“ – das können auch wir fragen … klagen.
Wie lange noch wird dieser Kampf gegen die dritte Start- und Landebahn andauern?
Wie lange noch wird dieser Wahn des „immer größer, immer weiter, immer mehr“ gehen?
Wie lange noch werden wir hier in Mitteleuropa dem Wachstumsmantra glauben, obwohl wir bei uns doch alles Lebensnotwendige im Überfluss haben?
Und wie lange noch werden wir die Kraft haben, uns gegen dieses unverantwortliche Flughafen-Ausbauprojekt zu stemmen?

In den Psalmen klagt sich der Beter meistens über seine Klage in ein neues Gottvertrauen hinein, manchmal sogar in den Lobpreis Gottes.
Und die Johannesoffenbarung endet mit der großen Vision des neuen Himmels und der neuen Erde. Auch sie bleibt nicht verhaftet in der Aussichtslosigkeit der Gegenwart. Sie hat ein anderes Bild einer Gesellschaft als die vorgefundene. Dieses andere Bild ist aber – und das ist wichtig – nicht ein Traumbild, das die Realität verdrängt, sondern ein Hoffnungsbild, das aus der Klage vor Gott erwachsen ist.

---- kleine Stille ----

Ich lade Sie jetzt ein, unser Gebet als Klagegebet vor Gott zu bringen und jeweils einzustimmen mit dem Klageruf „Wie lange noch, Gott?“

  • Wie lange noch, Gott, wird dieser Kampf um die dritte Start- und Landebahn am Flughafen München unser Leben belasten und unsere Kräfte binden?
    - Wie lange noch, Gott? -

  • Wie lange noch, Gott, dürfen die Mächtigen dieser Erde ihre gigantischen Pläne vorantreiben – auf Kosten von Mensch und Natur? - …

  • Wie lange noch, Gott, werden wir Menschen in unserer Verblendung deine gute Schöpfung plündern und diesen Planeten über die Maßen ausbeuten? - …

  • Wie lange noch, Gott, werden wir in Europa im Überfluss leben und uns vom Rest der Welt alles, was wir wollen an Rohstoffen, Gütern und Dienstleistungen, bedenkenlos und billig holen? - …

  • Wie lange noch, Gott, müssen wir harren auf „den neuen Himmel und die neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt“ (2.Pt 3,13) ? - …

Beten wir gemeinsam, wie Jesus seine Jünger zu beten gelehrt hat:
Vater unser im Himmel ...

So segne und begleite uns der gute und treue Gott:
der Vater durch den Sohn im Heiligen Geist.